Anlässlich der Aufführung von der  Kompositionen „Akdenizli“ und „Susma – Schweige nicht“ bei den Berliner  Maerzwochen schrieb Julia Spinola am 21. März 2013 in der ZEIT:
          Die 1977 in Izmir geborene türkische  Komponistin Zeynep Gedizlioğlu erlebte mit elf etwas »Magisches«: Kurz vor  ihrer Aufnahmeprüfung am Konservatorium in Istanbul setzte sie sich erstmals  ans Klavier - und merkte zu ihrem großen Erstaunen, dass sie Teile aus Saties  Gymnopédies-Zyklus aus der Erinnerung heraus nachspielte, einfach so. Da  konnte sie weder Notenlesen noch ein Instrument spielen - beinahe unvorstellbar  aus westlicher Perspektive. Nicht einmal eine Blockflöte gab es in Gedizlioğlus  Kindheit. Dennoch wusste sie schon als Neunjährige, dass sie »die Sprache der  Musik erlernen« wollte, weil sie eine so »leidenschaftliche Musikhörerin« war.  Doch weder die türkische Volks- noch die westliche Kunstmusik spielten in ihrem  Elternhaus eine Rolle. Eine »ganz intensive Erfahrung« machte sie mit der Rock-  und Popmusik, die ihre Eltern - eine Schauspielerin und ein bildender Künstler  - hörten: Alben von Deep Purple, Supertramp oder King Crimson.
            In Istanbul hatte die heute  36-Jährige ein Kompositionsstudium abgeschlossen und schrieb Stücke, die  »möglicherweise ein wenig nach Bartók oder Kurtág rochen«. 2002 begann sie  weitere Studien in Deutschland unter anderem bei Wolfgang Rihm und Ivan  Fedele. Und gab sich als Stipendiatin der Darmstädter Ferienkurse für Neue  Musik drei Wochen lang den verschiedensten kompositorischen Richtungen hin, von  Rihm über Helmut Lachenmann und Brian Ferneyhough bis zu Tristan Murail. »Ich  hatte noch nie so viele Komponisten in einem Raum gesehen«, erinnert sie sich.  »Das war heftig, eine echte Last auf meinen Schultern«.
            Dennoch ist es ihr gelungen, im  Stimmengewirr der Neue-Musik-Szene ihren eigenen Ton zu finden: eine  schnörkellose Direktheit und Unumwundenheit expressiver Impulse, die oft in  harten Schnitten gegeneinandergesetzt werden und sich mit antikischer Wucht und  Klarheit zu entladen scheinen. Vergangenes Jahr wurde Gedizlioğlu mit dem  Kompositionsförderpreis des Ernst-von-Siemens-Musikpreises ausgezeichnet. Ihre  Werke sind in der zeitgenössischen Musikszene vollständig angekommen.
            Vor der tödlichen Umarmung eines  Betriebs, der dazu neigt, alles zu schlucken, schützt sie sich, indem sie in  sich eine gewisse Fremdheit und Widerständigkeit kultiviert: Es ist dies »das  positive Gefühl, nirgendwo restlos dazuzugehören«, das sie mittlerweile auch  bei Besuchen in Istanbul befällt. Während viele ihrer Kollegen beim Komponieren  auf eine Computersoftware zurückgreifen, die mit der »einfachsten Art, Noten zu  schreiben und zu veröffentlichen«, wirbt, schreibt Gedizlioğlu ihre Stücke in  einer Situation, die sie radikal auf sich selbst zurückwirft: im Lesesaal einer  Bibliothek, wo es nur »den Schreibtisch, das Papier und meinen Kopf gibt«.
            Welche Art von Unmittelbarkeit also  erhofft sich die Neue-Musik-Szene, wenn sie begehrliche Blicke in den Orient  wirft und mit der protestgeladenen Massenkultur des türkisch-arabischen Raums  flirtet? Bloß weil einem Teil der Komponisten hierzulande die kreative Energie  auszugehen droht, kann nicht geleugnet werden, dass Kunst einen Ort der  Handlungsentlastung, der Muße und der Reflexion braucht. Nicht umsonst zieht es  die meisten Komponisten aus sogenannten Krisenländern früher oder später in  den befriedeten Westen. Insofern sollten wir uns vor jedweder Romantisierung  hüten. Die Annahme, dass die authentischste Kunst in Regionen mit hoher  Traumadichte entstehe, hätte sonst etwas Obszönes.
          Portraitvideo unter http://vimeo.com/43550705.